Es ist 5:45 Uhr. Ein seltsames Geräusch reißt mich aus dem Schlaf. Es klingt so, als würde eine Horde Zombies eine Leiche zerfleddern. Nur ohne Geschrei. Kurze Orientierungslosigkeit. Dann die Ankunft in der Realität. Ein paar Kühe stehen gegenüber unserer Schutzhütte, grasen und schauen uns beim Schlafen zu. Ich schaue wohl zu viele Filme. Dann kommt der Bulle, schnaubt ein paar Mal und verjagt die Kühe. Der dritte und letzte Tag der Vascostas-Mckoy’schen Rennsteig-Rallye bricht an.
Wir schleichen mit unserem ganzen Kram aus der Schutzhütte. Unsere Gäste aus Hamburg pennen noch. Draußen lassen wir uns an der Sitzgruppe nieder. Frühstück mit Brötchen und Marmelade aus dem Neuhäuser Lidl und Kaffee aus dem Beutel. Dazu gibt’s Reinald Grebes Thüringen-Hymne. Wie auf jeder richtigen LP Tour. Top. Kurz vor der Abreise sind dann auch die Hamburger wach. Schnell noch ein paar Worte gewechselt. Dann starten wir zur Abfahrt nach Spechtsbrunn und strampeln danach gleich wieder bergauf.
Dann wird alles anders. Kaum überfahren die Grenze zu Bayern (oder Franken, was aber in diesem Fall relativ egal ist), scheint der richtige Rennsteig verschwunden zu sein. Statt einem weißen „R“ gibt es nur noch ein blaues auf weißem Grund. Es könnte natürlich sein, dass wir nur auf einer Alternativroute gelandet sind, aber wo ist dann die richtige? Überhaupt ist die Streckenführung teilweise sehr seltsam. Da zweigt das „R“ ohne Vorwarnung von einem breiten Forstweg ab, führt quasi Offroad durch den Wald, nur um 10 m weiter wieder auf dem Weg zu landen. Eine Alternative um der Alternative Willen. Man muss eben immer seine eigenes Süppchen kochen. Wahrscheinlich war es doch ganz gut, dass Shitimckoy vor der Tour bei seiner Krankenkasse nachgefragt hat, ob seine Auslandsversicherung auch in Bayern gilt.
Die dritte Etappe ist deutlich kürzer, nach den letzten beiden Tagen jedoch nicht weniger anstengend. Dazu kommt, dass seit heute Morgen akuter Wassermangel herrscht und ich nur unter Einsatz von Ibuprofen weiterfahren kann. Ein fieses Stechen im rechten Knie. Schöner Scheiß. Der Arsch tut mittlerweile auch weh wie ein abgerissener Schwanz. Man kann kaum noch auf dem Sattel sitzen. Nach 10 – 15 Minuten lässt der Schmerz zwar nach, leider muss man aber immer mal wieder vom Sattel aufstehen und dann fängt der ganze Scheiß von vorne an.
Auch die Landschaft ist nicht mehr ganz so ansehnlich. Der Bayrische Staatsforst hat es doch tatsächlich fertiggebracht, den Rennsteig mit dem Harvester stellenweise komplett zu zerfahren. Sagste nichts mehr. Sind bestimmt wieder die Flüchtlinge schuld. Oder dieses linke Komponistenpack.
Ein paar (auch fahrerisch) schöne Passagen sind zum Glück dabei. Bis wir hinter Steinbach auf einem asphaltierten Radweg direkt an der Straße fahren müssen. Ätzend. Da ist die Freude groß, als es endlich wieder in den Wald geht. Wir überqueren den alten Grenzstreifen und brettern die letzten zwei, drei Kilometer vor Brennersgrün noch mal über richtig schicke Single Trails. Bergab und umso steiler bergauf. Geil. Hart, aber geil.
Nach einem Besuch im (ausnahmsweise geöffneten) Rennsteighaus in Brennersgrün, um Wasser zu tanken, sammeln wir ein paar Meter weiter noch schnell einen Tradi in seltsamer Umgebung ein – es hat was von einer Müllkippe, soll wohl aber irgendeine Art Kunst darstellen – und machen uns dann auf zur zweiten Halbzeit. Wir kommen nur schleppend voran. Die Luft ist raus. So richtig. Jeder noch so kleine Anstieg wird zur Qual und die Wurzelteppiche zur Tortur für den geplagten Arsch. Shitimckoy ist nur noch am Fluchen über völlig irreführende Höhenprofile. Recht hat er. Da stimmt gar nichts. Der letzte Tag sollte eigentlich fast nur eben bis abschüssig sein. Man darf wohl nicht alles glauben, was im Internet steht.
Die letzten Kilometer vor dem Ziel sind zäh wie Kaugummi. Einen einzigen Cache fangen wir noch weg, aber der ist eher durchschnittlich. Zumindest aber kein Micro. Die Strecke ist OK. Nichts besonderes. Meistens schmale Pfade parallel zur Straße oder durch Feld und Wiese. Nichts anspruchsvolles. Richtig beschissen ist dann aber Abfahrt nach Blankenstein. Asphalt. Zeitweise sogar auf der Landstraße. Mit einem Wanderweg hat das nichts mehr zu tun. Eigentlich hätte der Rennsteig auch ein paar km kürzer sein können. Wäre kein großer Verlust. Wenigstens können wir uns rollen lassen.
Dann der Zieleinlauf mit kleineren Hindernissen. Bevor wir das Ende des Rennsteigs erreichen, müssen wir noch ein paar Minuten am Bahnübergang warten. Ein Güterzug möchte rangiert werden. Wie idyllisch. Dann geht’s zur Selbitzbrücke. Endlich! Nach drei Tagen Kampf gegen Körper, Geist und Hangabtriebskraft haben wir unser Ziel erreicht. Aus eigener Kraft. Ohne Motor. Das Gefühl ist unbeschreiblich. Eine Riesenlast fällt von uns. Das kann aber auch daran liegen, dass wir die Rücksäcke absetzen. So richtig können wir unsere Freude noch nicht zeigen. Dafür sind die Schmerzen noch zu gegenwärtig. Aber es ist schon der Wahnsinn. Wenn man bedenkt, dass wir nach gut der Hälfte des ersten Tages eigentlich schon die Schnauze gestrichen voll hatten. Die letzten Meter laufen wir. Mittig auf der Brücke verabschieden wir uns von unseren Werrasteinchen und versenken sie in den Fluten. Haken dran.
Und dann sitzen wir am Ufer der Saale, genießen – hauptsächlich aus Kostengründen – unsere letzte 5-Minuten-Terrine und Trockenobst, warten auf den Shuttle-Service und lassen uns die letzten drei Tage noch mal durch den Kopf gehen. Wir kommen zu dem Schluss, dass der Thüringer Wald definitiv schöner ist als der Frankenwald. Jaja, ich weiß. Wir sind voreingenommen. Egal. Der Rennsteig an sich ist, wenn man sich an den Wanderweg hält, eine richtig geniale Mountainbike-Strecke. Größtenteils zumindest. Fick dich, Radweg! Niemand mag dich.
Wir hatten Glück. Wir haben die drei Tagen ohne technische Defekte, Stürze oder sonstige Verluste überstanden. Mal abgesehen von den üblichen Blessuren wie einem wunden Arsch und überbeanspruchten Schultern und Beinen geht’s uns ganz gut. Und das Wetter hat mehr als gepasst. Sonnig, nicht zu heiß und auch nicht zu starker Gegenwind. Besser geht’s nicht. Und dann kommste heim und es schifft…
Und nun? War das jetzt eine einmalige Sache? Am Ende des dritten Tages hätte ich gesagt, ich mach so’n Scheiß so schnell nicht wieder. Jetzt, nach ein paar Tagen Erholung, sieht sie Sache schon wieder ganz anders aus. Man darf gespannt sein.
Fortsetzung folgt?!
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